April 25, 2024

Die erfolgreichen Septemberstreiks 1969 – Arbeiter:innen überwinden die Gewerkschaftsbürokratie

Was tun gegen die Inflation, ständigen Teuerungen und sinkenden Löhne? Eine Perspektive dazu bieten unter anderem die sogenannten Septemberstreiks in Deutschland im Jahr 1969. Bei den Septemberstreiks handelte es sich um eine breit organisierte und wirksame Streikbewegung von Arbeiter:innen, die mit ähnlichen Bedingungen wie heute konfrontiert wurden. Doch genau in dieser Situation schafften es die Arbeiter:innen durch einen entschlossenen Kampf ihre Rechte zu erkämpfen. 

DIE „KONZERTIERTE AKTION“ 

Im Jahr 1967 erlebte Deutschland eine Rezession, wodurch die Wirtschaft in eine Stagnation geriet. Aufgrund der Krise ging das Bruttoinlandsprodukt zurück und die Arbeitslosigkeit verdreifachte sich. Um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, initiierte die Bundesregierung der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD eine „Konzertierte Aktion“, also eine Partnerschaft zwischen Unternehmen und Gewerkschaft. Zum ersten Mal saßen die Gewerkschaften mit Vertreter:innen der Unternehmerverbände, Politik, Wissenschaft und der Deutschen Bundesbank an einem Tisch. Die wirtschaftliche Lage zu verbessern bedeutete für diesen Tisch jedoch, dass die Lohnerhöhungen „gesamtwirtschaftlich vertretbar“ sein sollten, um den Rückgang der Konjunktur aufzuhalten. In anderen Worten: Die Löhne der Arbeiter:innen sollten stark begrenzt werden und langjährige Tarifverträge sollten für einige Zeit Ruhe für die Unternehmen schaffen. Währenddessen sollten die Unternehmen Investitionshilfen und andere Subventionen erhalten. 

Die Konzertierte Aktion brachte eine noch stärkere Ausbeutung mit sich. Bis 1969 wurde die Arbeitsintensivität verstärkt durch beschleunigte Akkordarbeit, während betriebliche Sozialleistungen abgebaut wurden. Überstunden erreichten Rekordhöhen. Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld, Fahrtkosten- und Kantinenzuschüsse fielen weg. Insgesamt stieg von 1966 bis Mitte 1969 die Arbeitsproduktivität in der Stahlindustrie um etwa 40 Prozent an. Trotz der erhöhten Ausbeutung wandte sich die IG Metall, die bereits 1966 in der Stahlindustrie eine reale Nullrunde für die Arbeiterlöhne akzeptiert hatte, nun auch im Jahr 1968 gegen die Forderungen der Beschäftigten nach besseren Arbeitsbedingungen. Das Ergebnis dieser Politik waren nie zuvor gewesene Gewinnexplosionen für die Unternehmer:innen und ein historischer Lohnrückstand für die Arbeiter:innenklasse.  

EINE BUNDESWEITE STREIKWELLE BRICHT AUS

Diese Umstände führten schließlich im Sommer 1969 zum Siedepunkt: Täglich führten die Arbeiter:innen spontane Aktionen durch und protestierten gegen ihre Lage. Als dann noch weitere ausbeuterische Maßnahmen wie technische Produktivitätsförderung ohne Gegenleistung oder autoritäre Maßnahmen in den Betrieben dazukamen, kochte die Stimmung endgültig über. Auf die Kampfbereitschaft und Forderungen der Beschäftigten reagierten die Gewerkschaften allen voran die IG Metall und die IGBE mit Ignoranz. Dabei wurde von der Gewerkschaftsbürokratie argumentiert, dass man an die laufenden Tarifverträge gebunden sei und daher nichts machen könne. Die wütenden Beschäftigten ließen sich jedoch von den Gewerkschaften und den arbeiterfeindlichen Streikgesetzen nicht bremsen und gingen selbständig über zu wilden Streiks. 

Den ersten Funken für die daraufhin entstehende Streikwelle zündeten am 2. September 1969 die 27.000 Beschäftigten der Hoesch AG in Dortmund, indem sie in allen drei Werken die Arbeit niederlegten und einen Demonstrationszug zur Firmenleitung starteten, um 30 Pfennig pro Stunde mehr zu fordern. Schon am nächsten Tag gab sich das Unternehmen geschlagen und akzeptierte die Forderung. An diesem Tag, den 3. September, nahmen sich die Beschäftigten der Rheinstahl Gießerei Meiderich die Hoesch Kolleg:innen zum Vorbild und begannen ebenfalls einen selbständigen Arbeitskampf. Darauf folgte schließlich eine bundesweite Kettenreaktion, in der zehntausende Arbeiter:innen des Metall- und Bergbausektors, der Chemie- und Textilindustrie und des Öffentlichen Dienstes den Streik ausriefen. Im Ruhrgebiet und Saarland streikten vom 2. bis 19. September 1969 insgesamt 140.000 Beschäftigte. Dies führte wiederum für mehr als 8 Millionen Beschäftigte zu Lohnerhöhungen. 

DER VERRAT DER GEWERKSCHAFTSFÜHRUNGEN 

Während Gewerkschaften wie die IG Metall auf die spontane Streikbewegung mit Ignoranz und Zurückhaltung reagierten, stellte sich beispielsweise die IGBE noch direkter gegen die Arbeiter:innen, indem sie quasi die Rolle des Staatsanwalts spielte und die Streiks als „illegal“ diffamierte. Auch 2022 ist die prokapitalistische Haltung der Gewerkschaftsbürokratie weiterhin deutlich zu erkennen, denn selbst in Krisenzeiten wie diesen wird eine Kooperation mit den Konzernbossen gepflegt, statt sich ernsthaft für die Rechte und Bedürfnisse der Beschäftigten einzusetzen. Genau wie am Ende der 60er Jahre werden die Lohnabhängigen trotz der verstärkten Ausbeutung und der permanent sinkenden Reallöhne von den Gewerkschaftsführungen mit völlig unzureichenden Tarifverträgen hinters Licht geführt. Hier stellt sich auch die Frage, wie lange das arbeiterfeindliche Streikgesetz in Deutschland noch Bestand haben soll, wenn es laut Gesetz legale Streiks nur im Rahmen von Tarifverhandlungen geben kann, diese jedoch nur alle paar Jahre stattfinden. Gerade in der aktuellen Zeit wird dies von den Lohnabhängigen vermehrt hinterfragt werden, denn täglich steigen die Kosten, während die tariflich geregelten Löhne für mehrere Jahre gleich bleiben sollen. 

In diesem Zusammenhang spielen die kämpferischen Beschäftigten der Septemberstreiks 1969 eine wichtige Vorbildrolle für die heutigen Lohnabhängigen, auf die nun eine schwere Zeit zukommt. Werden sie gegen ihre immer stärkere Ausbeutung und die Abwälzung der Krisenlasten auf ihrem Rücken entschlossen vorgehen, indem sie wie 1969 gemeinsam und solidarisch jegliche gesetzlichen und gewerkschaftlichen Hürden überwinden? Hierbei wird es neben dem Kampfeswillen der Belegschaften vor allem auch auf die Solidarität in der Bevölkerung ankommen. 

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