April 19, 2024

Die Leitzinserhöhung der EZB und deren fatale Folgen

Am 21. 07.2022 hat die EZB (Europäische Zentralbank) nach Jahren der Niedrigzinspolitik – die Zinsen lagen um die 0% – den Leitzins auf 0,5% erhöht, um damit gegen die steigende Inflation vorzugehen. Doch was bedeutet dies für die durchschnittlichen Arbeiter:innen in Europa? 

Um zu verstehen, was die Zinserhöhung bedeutet, muss man die verschiedenen Wirtschaftsmodelle der Länder innerhalb Europas vergleichen. Grob lassen sich diese in exportstarke (bspw. Deutschland, Holland, Belgien, Skandinavien) und exportschwache Länder unterteilen (bspw. Griechenland, Italien, Spanien, Frankreich, Portugal). Diese Unterteilung gibt an, dass Deutschland mehr ins Ausland exportiert als es importiert und so eine positive Außenhandelsbilanz vorweisen kann. Diese wird in der Wirtschaftswelt von Banken als Indikator dafür gesehen,  dass ein Staat wettbewerbsfähig ist und auch in Zukunft aufgrund des Überschusses, den er erwirtschaftet, seine Schulden bzw. die darauf anfallenden Zinsen zurückzahlen kann. 

Doch dies ist nicht unbedingt ein gutes Zeichen. Die Außenhandelsbilanz Deutschlands ist nicht unbedingt darauf zurückzuführen, dass Deutschland besonders innovativ ist, sondern dass seit Beginn der Nullerjahre die Lohnkosten für viele deutschen Unternehmen kaum gestiegen sind. So sind die Produkte die in Deutschland produziert werden aufgrund dieser niedrigen Lohnkosten im europäischen Vergleich billiger und können gut exportiert werden. Hinter dem Begriff billige Lohnkosten verstecken sich jedoch u.a. Lohndumping, Zeitarbeit und Minijobs. Die Außenhandelsbilanz ist also nur positiv für die Unternehmer:innen, nicht jedoch für die lohnabhängige Bevölkerung. 

Was machen aber Länder, deren Außenhandelsbilanz nicht positiv ist? Die also mehr importieren als sie exportieren? Diese Länder, wie bspw. die südlichen Eurostaaten, sind darauf angewiesen, Schulden aufzunehmen, um ihren Lebensstandard zu erhalten. Sie müssen sich also Geld bei Banken leihen, damit der Staat nicht bankrott geht. Ein Beispiel dafür, wo solch ein Bankrott fast passiert wäre, ist die „Eurokrise“. Hier musste sich das schon hoch verschuldete Griechenland weiter Geld leihen und die Banken verlangten dafür (weil sie sich unsicher darüber waren, ob Griechenland das Geld zurückzahlen kann) jedoch immer höhere Zinsen, sodass Griechenland irgendwann einen Großteil seines Staatseinkommens nur für die Tilgung der Zinsen ausgeben musste, was natürlich die Zinsen weiter in die Höhe trieb. 

In diese Situation konnte Griechenland nur geraten, weil es über keine eigene unabhängige Zentralbank mehr verfügt, die ihm Geld in einer eigenen Währung leiht; stattdessen fiel diese Aufgabe im Zuge des Entstehens der Europäischen Union der EZB zu. Dadurch verlor die griechische Wirtschaft eine wichtige Eigenschaft: Durch das Drucken von eigenem Geld kann die eigene Währung abgewertet werden, sodass die Produkte, die das jeweilige Land produziert, billiger werden und das Land wieder exportfähig wird. Des Weiteren hat die Regierung mehr Einfluss auf die Konditionen, zu denen es sich Geld von der eigenen Zentralbank leiht. Überspitzt ausgedrückt: Solange ein Land Wirtschaftswachstum aufweist und eine eigene Zentralbank besitzt, kann es nicht pleite gehen. 

Anders verhielt es sich jedoch bei Griechenland, was gezwungen war, sich Geld bei der EZB zu leihen und sich deshalb auf Forderungen der Troika (Kooperation zwischen EZB, IWF und Europäischer Kommission) einzulassen, um dieses Geld zu bekommen. Diese Zugeständnisse an die Troika beinhalteten Modernisierungen des Landes, um wieder exportfähig zu werden. Modernisierung bedeutete jedoch Privatisierungen, Sozialstaatsabbau und Rentenkürzungen. Kurz gesagt: Der Staat sparte bei der Bevölkerung, um mehr Einnahmen als Ausgaben zu erhalten. Das sorgte jedoch für einen Abfall der Nachfrage in Griechenland, weil sich die griechische Bevölkerung nun noch weniger leisten konnte. So mussten Unternehmen schließen, weil sie ihre Produkte nicht mehr absetzen konnten, was aufgrund der steigenden Arbeitslosigkeit wiederum für einen weiteren Fall der Kaufkraft sorgte. Aus einer Schuldenkrise wurde eine echte Wirtschaftskrise, die zahlreiche Menschen das Leben kostete, da diese ihre Medikamente oder Heizkosten nicht mehr bezahlen konnten. 

Genau in diese Situation könnten Griechenland und andere “schwächere Staaten” aufgrund der Leitzinserhöhung wieder geraten. Diese Länder müssen mehr bezahlen, um sich dieselbe Menge Geld zu leihen. Die Ausgabensteigerungen könnten wiederum zu Senkungen in anderen Bereichen führen, sodass es wieder die Schwächsten trifft, die dann z.B. unter dem Sozialabbau leiden. Außerdem könnte die Leitzinserhöhung auch Unternehmen treffen, die fortan höhere Zinsen zahlen müssen. Das könnte gerade für angeschlagene Unternehmen im Zuge der Corona- und Lieferkettenkrise bedeuten, Arbeiter:innen vor die Tür zu setzen, was durch die sinkende Nachfrage schließlich zu einer Abwärtsspirale und damit erneut zu einer Wirtschaftskrise führen könnte. Doch genau das ist die Logik der EZB und ihre Lösungsstrategie: „Wenn es weniger Nachfrage gibt, sinken auch die Preise; was zum Senken der Inflation führt“. Konkret heißt es,  dass das Senken der Inflation auf Kosten der Arbeiter:innenklasse geschafft werden soll. Dabei bezweifeln jedoch selbst Zentralbanker und Jerome Powell – Vorsitzender der US-amerikanischen Zentralbank – in einer Sitzung des US-Kongresses, dass die Zinserhöhungen für ein Sinken von Gas oder Lebensmittelpreisen führen werden. 

Wie kann also die Inflation bekämpft werden? Inflation bezeichnet nichts anderes als das Steigen von Preisen über einen gewissen Zeitraum. Viele dieser Preissteigerungen werden auf die Corona-Krise, Lieferkettenprobleme oder den Ukrainekrieg zurückgeführt. Was jedoch derzeit passiert, ist, dass Unternehmen im Lebensmittelbereich und im Energiewesen Rekordprofite machen. Sie erhöhen die Preise nicht, um die gestiegenen Kosten auszugleichen, sondern um noch mehr Gewinne zu erzielen. Die Antwort auf die Inflation, die steigenden Zinsen und die damit verbundene Wirtschaftskrise kann nur eine vereinte Reaktion der Arbeiter:innenklasse eines jeden Landes sein. Diese muss den Kampf gegen Ausbeutung, Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und Preissteigerungen mit dem Kampf gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem verbinden, was die weltweise Krise verursacht und tagtäglich verschärft.

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