März 29, 2024

Täter enttarnt sich selbst nach Morddrohungen gegen linke Politiker:innen und Aktivist:innen

Seit einem Jahr vermehren sich Morddrohungen gegen türkisch- und kurdischstämmige Politiker:innen in Deutschland. Zuletzt enttarnte sich unbewusst ein Handyladenbesitzer aus Kayseri, der mit der rechtsradikalen Partei MHP, die ein essenzieller Teil der rechtsradikalen türkischen Bewegung ist, in Verbindung steht. Zu den Betroffenen gehören unter anderem Cansu Özdemir, Kerem Schamberger, Civan Akbulut und Sarya Atac. Neben diesen stehen aktuelle und frühere Bundestagsmitglieder wie Gökay Akbulut oder Tobias Pflüger und vor allem auch Abgeordnete der prokurdischen linken Partei HDP in der Türkei im Visier.

Der politische Aktivist Kerem Schamberger bekam vor einigen Tagen mehrere Morddrohungen vom Täter. Jedoch hatte dieser vergessen, sie von seinem anonymen Account ,,Kod Adım Yeşil‘‘ [Anpielung auf den Decknamen des türkischen Geheimdienstagenten Mahmut Yıldırım, durch den in den 80er und 90er Jahren viele Kurd:innen und Linke ermordet wurden, Anmerkung Resistance] zu versenden und versendete sie stattdessen von seinem Geschäftsaccount ,,Teknotell_Kayseri‘‘. Nachdem der Täter gemerkt hatte, dass er seine Identität versehentlich preisgegeben hat, löschte er ein Foto, auf dem er zu sehen war. Die Screenshots dieses Fotos wurden jedoch rechtzeitig gespeichert.

Das Foto zeigt einen Mann am Schreibtisch eines Handyladens und trägt die Bildbeschreibung: „Ich gratuliere den Abgeordneten des türkischen Volkes Olcay Kılavuz und Baki Ersoy und wiederhole mit lauter Stimme: Selahattin Demirtaş ist ein Terrorist.‘‘ Selahattin Demirtaş ist der ehemalige Co-Vorsitzende der HDP. Bei Kılavuz und Ersoy handelt es sich um Abgeordnete der MHP. Bisher ist nicht bekannt, welche Verbindung der Täter explizit zur MHP hat, doch dass zumindest eine starke Sympathie für diese faschistische Partei gehegt wird, liegt auf der Hand. Da der Täter in seinem Post Kerem Schamberger, die Hamburger Linksfraktionsvorsitzende Cansu Özdemir und weitere Personen markiert hatte, ergibt sich laut den Betroffenen folgender Verdacht:

„Die Markierungen könnten auch dafür sprechen, dass seine ‚Enttarnung‘ nicht Zufall war, sondern er meinte jetzt an die Öffentlichkeit gehen zu können, weil er juristisch nichts zu befürchten hat. Angesichts der Tatsache, dass die MHP Teil der Regierungskoalition ist und frühere Ermittlungen in der Türkei gegen ähnliche Morddrohungen von staatlicher Seite ins Leere liefen, könnte er sogar richtig liegen.“

In der Pressemitteilung der Betroffenen heißt es, dass die exakte Adresse des Handyladens in Kayseri der deutschen Polizei bekannt ist. Alle bisher in die Wege geleiteten Verfahren wurden jedoch eingestellt oder waren erfolglos, da zum einen der Täter nicht gefunden wurde und zum anderen Instagram bei den Ermittlungen nicht richtig kooperierte. Laut den Ermittlungen des BKA (Bundeskriminalamt) steht allerdings fest, dass die Drohungen von einer IP-Adresse in Kayseri stammen.

Die praktische Bedeutung der organisierten Welle an Morddrohungen für den eigenen Aktivismus brachten die Betroffenen schon in ihrer Stellungnahme vom 23.12.2020 zum Ausdruck:

„Was die Faschist:innen mit den Morddrohungen bezwecken wollen? Uns mundtot machen. Aber wir lassen uns nicht einschüchtern – nicht von allen bisherigen Angriffen und auch nicht von diesem. Ganz im Gegenteil, für uns heißt es nur noch mehr: Weiterkämpfen gegen Nationalismus und Faschismus. Dabei setzen wir auch auf eure Solidarität!“

Nach wie vor pflegen der deutsche und der türkische Staat eine enge Zusammenarbeit, sowohl auf öffentlich politischer als auch auf geheimdienstlicher Ebene. Daher bleibt es zweifelhaft, dass sich deutsche Behörden konsequent für die Rechte von linken Aktivist:innen in Deutschland und gegen die Verbrechen von türkischen faschistischen Kräften in Bewegung setzen. Auch in diesem Kampf müssen sich die fortschrittlichen Organisationen und Einzelpersonen in beiden Ländern selbst organisieren und auf die eigenen kollektiven Kräfte aufbauen. 

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