April 25, 2024

Warum die Lebensmittelverschwendung kein Individuelles Problem ist

Seit Wochen blockieren immer wieder Klimaaktivist:innen in Berlin die Autobahn. Sie bezeichnen ihren Prostest als „Aufstand der letzten Generation“. Dieser richtet sich gegen die Lebensmittelverschwendung. Hierbei fordern sie ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung und eine Agrarwende, um klimaschädliche Gase in der Landwirtschaft einzudämmen. Doch warum werden Lebensmittel überhaupt verschwendet? 

Wir sehen, dass vor allem die „westlichen“ Staaten im Überfluss leben, während in den überwiegenden Teilen der Erde verheerende Armut existiert. Was ist aber die Ursache für diese bestehende Ungleichheit? Hier zunächst einige Fakten, die über die Lebensmittelverschwendung hinausgehen:  

  • Jährlich werden allein in Deutschland 12 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. 4,1 Millionen Tonnen fallen dabei auf die Produktion, die Verarbeitung und den Handel zurück.
  • Im Jahr 2018 entsorgten Händler 20 Millionen zurückgesendete Waren (Elektrogeräte, Möbel, Kleidung), obwohl sie diese hätten verwerten oder spenden können.
  • Allein Amazon in Deutschland schickte in der Vorweihnachtszeit bis zu zweimal die Woche Neuware nach Hamburg zur Verbrennungsanlage.

Diese Zahlen und Beispiele könnten an dieser Stelle endlos weitergeführt werden und alle würden in der Konsequenz das Ausmaß und den Irrsinn vor Augen führen, denn 

  • In 43 Ländern sind 45 Millionen Menschen von Hungersnot bedroht (Stand 2021).
  • 20 Unternehmen sind für mehr als die Hälfte des weltweiten Plastikabfalls verantwortlich.
  • Die weltweite Lebensmittelproduktion verursacht ca. ein Drittel des gesamten Treibhausgasausstoßes.

Anhand dieser Beispiele kann – ohne den Hintergrund genauer zu kennen – bereits festgestellt werden, dass mit dieser Produktionsweise Menschenrechtsverletzungen, Umweltschäden und letztlich maximaler Profit auf Kosten von anderen einhergehen.

Die Systemfrage als Ursache für bestehende Missstände 

Grund dafür ist die kapitalistische Produktionsweise. Es ist ein Kreislauf, der damit beginnt, dass die natürlichen und begrenzten Ressourcen der Erde ausgeraubt werden, z. B. werden Regenwälder gerodet. Verantwortlich hierfür sind die Staaten und weltweit agierenden Konzerne wie z. B. Nestlé, Amazon oder aber auch Michael Kors. Weiterhin werden dann durch die Rohstoffe Produkte erzeugt, von denen ein bestimmter Anteil letztlich vernichtet wird. Sie werden vernichtet, weil die Marktlogik dies erfordert. Sobald die Nachfrage für ein bereits bestehendes Produkt immens steigt und der „Bedarf“ gedeckt ist, kann dieses nicht mehr abgesetzt werden. Das erzeugt dann nur noch zusätzliche Kosten, indem z. B. Lagerkosten, Transportkosten oder Weiterverarbeitungskosten anfallen. 

Hierzu ein Beispiel direkt auf Nahrungsmittel bezogen: Können Produkte nicht mehr abgesetzt werden, liegt ihr Wert bei „Null“. Sobald dies der Fall ist, erzeugt die Lagerung oder die Zucht von Nutztieren Kosten, die nicht mehr tragbar sind – es rentiert sich schlicht und einfach nicht mehr. Im kapitalistischen System ist eine Ware dann wichtig, wenn sie einen Wert hat. Tiererzeugnisse sind deshalb wirtschaftlich wichtig, weil sie auf dem Markt durch den Weiterverkauf profitabeler werden. Im Umkehrschluss bedeutet das: Sobald Lebensmittel auf dem Markt durch Verkauf nicht mehr ihren Wert realisieren können, werden sie für die Kapitalisten nutzlos. Ab diesem Moment kommt für den Kapitalisten die Vernichtung in Betracht – dadurch kann er den Markt wieder stabilisieren. Auf der anderen Seite jedoch verhungern Menschen, die dann z. B. für ein wenig Lohn bereit sind, unter menschenunwürdigen Verhältnissen wieder Rohstoffe für den Kapitalisten abzubauen. Man denke hierbei nur an den Abbau von Kobalt im Kongo. So schließt sich der in sich widersprüchliche, völlig kranke Kreislauf dieses Systems. 

Gefangen im kapitalistischen Spiel?

Heutzutage erfinden die Konzerne Strategien, wie die „geplante Obsoleszenz“ (geplanter Verschleiß, engl.: planned obsolescence). Hierbei wird die eigentliche „Lebensdauer“ eines Produktes bewusst manipuliert und dadurch verkürzt. Es gibt verschiedene Arten dieser Strategie. Die Lebensdauer eines Produktes kann durch technischen Eingriff, aber auch durch Einwirkung auf den Konsumenten selbst (psychologisch) verkürzt werden, indem z. B. durch Werbung suggeriert wird, man brauche nun das neueste Produkt. Der Konsument soll so in kurzen Intervallen dazu bewegt werden, das Produkt neu zu kaufen. Für den Kapitalisten bedeutet das, dass sein Absatzvolumen langfristig gesteigert wird.

Eine weitere Strategie stellt hierbei das Verbot des „Containerns“ dar. Containern bedeutet, dass man sich diejenigen Lebensmittel nimmt, die im Müll von Supermärkten landen. Das Containern ist in Deutschland verboten, das hat das Bundesverfassungsgericht auch bestätigt. Es begründete seine Ansicht mit dem Eigentumsschutz. Der Gesetzgeber – in diesem Staat der Bundestag – müsse strafrechtlich das Eigentum, auch wenn es wirtschaftlich keinen Wert hat, schützen. Damit nimmt das höchste Gericht in Deutschland seinen Platz an der Seite der Kapitalisten ein. Der Staat unternimmt also bewusst nichts, um den oben dargestellten Kreislauf nicht zu unterbrechen, denn hinter dem Staat steht das Kapital. Das Kapital gebraucht hierbei den Staat als Werkzeug zur Durchsetzung seiner Interessen. Aus diesem Grund existieren heute keine geeigneten Mechanismen, um diesen Kreislauf nachhaltig zu durchbrechen. Ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung wird durch Lobbyisten der Lebensmittelindustrie verhindert bzw. abgeschwächt. Das ist auch kein Versuch in die Glaskugel zu schauen, denn Gesetzesbestrebungen im Jahr 2019, z. B. Vorgaben für Zucker in Produkten festzulegen, scheiterten durch die erfolgreichen Einmischungen von Vertreter:innen von Unternehmen wie Mars oder Nestlé bei Treffen mit der damaligen Ministerin Klöckner. 

Gerechtigkeit durch ein neues Gesetz?

Aus diesem oben beschriebenen Zustand ergibt sich, dass kein Gesetz der Welt diesen kranken Kreislauf wirklich nachhaltig verändern wird. Innerhalb der kapitalistischen Ordnung ist jedes auf Verbesserung der Zustände gerichtetes Gesetz, eine Reformbestrebung, die zwar immer legitim ist und im Allgemeinen befürwortet werden kann. Doch es wäre eine Illusion zu glauben, dass dieser reformistische Ansatz eine grundlegende Änderung bringen wird. Es wird höchstens vorübergehend zur Besserung beitragen! Sich mit diesem „Kompromiss“ zufriedenzugeben lässt die geschichtliche Erkenntnis außer Acht, dass jede fortschrittliche Errungenschaft von den Verfechter:innen dieser Ordnung jederzeit zunichtegemacht werden kann. Es braucht deshalb einen grundlegenden politischen Systemwandel, der das heutige Verständnis von Wirtschaft gänzlich auf den Kopf und den Menschen wieder in den Mittelpunkt stellt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert