Oktober 9, 2024

Polizeigewalt gegen Hafenstreik in Hamburg – Eine Wende in Deutschland?

Der längste gewerkschaftliche Tarifstreik der Hafenarbeiter:innen seit über 40 Jahren wurde verwirklicht! Nach den 24-Stunden-Streiks am 9. Und 23. Juni folgte von Donnerstag bis Freitag ein weiterer 48-stündiger Streik. Tausende Beschäftigte der norddeutschen Häfen haben damit den Kampf für Lohnerhöhung und Inflationsausgleich gestartet. Dabei kam es nach langer Zeit wieder zum ersten Mal zu Polizeigewalt in derartigem Ausmaß im Rahmen eines Streiks.

In den Tarifverhandlungen zwischen der Gewerkschaft Ver.di und dem Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) geht es um 12.000 Hafenarbeiter:innen der Städte Hamburg, Emden, Bremen, Bremerhaven, Brake und Wilhelmshaven. Die Beschäftigten fordern mit der Gewerkschaft angesichts der Inflation 1,20€ mehr Stundenlohn, was einer Gehaltserhöhung von 14% entspricht. Die Vertragslaufzeit soll hierbei 12 Monate betragen. Die Unternehmerseite bietet dagegen nur eine 12-prozentige Erhöhung bei einer Vertragszeit von 24 Monaten an. Es ist jedoch stark davon auszugehen, dass die Inflation innerhalb dieser zwei Jahre noch drastischer steigen und die Reallöhne noch weiter senken wird, sodass die Lebensbedingungen der Beschäftigten bei diesem Angebot ab dem zweiten Vertragsjahr besonders gefährdet wären. Auf diese Weise versucht die Unternehmerseite die Beschäftigten mit weniger Lohn und einer noch längeren Vertragszeit für zwei Jahre abzuspeisen, sich für diese Laufzeit von Streiks zu befreien und somit so viele Profite wie möglich zu sichern.

„WIR SIND DER HAFEN!“

Nachdem die ver.di diese völlig nachteilhaften Bedingungen ablehnte, versammelten sich für Donnerstag und Freitag ca. 5000 Hafenarbeiter:innen in Hamburg für die zentralen Streikdemonstrationen. Zahlreiche Hafenunternehmen klagten daraufhin schon am ersten Tag vor dem Arbeitsgericht in Hamburg, Bremen, Oldenburg und Bremerhaven und forderten ein Verbot der Streiks. Während diese Forderung in Bremen und Niedersachen abgelehnt wurde, konnte für Hamburg durchgesetzt werden, dass die Gewerkschaft bis zum 26. August 2022 in Hamburg keine weiteren Streiks mehr durchführen darf. Ausnahme war nur der Streik am Freitag. Somit wurde das ohnehin schon beschränkte und aktuell wieder gefährdete Streikrecht in Deutschland ein weiteres Mal von staatlicher Seite geraubt.

Die Empörung und Wut der Hafenarbeiter:innen gegen dieses gemeinsame Vorgehen von Staat und Unternehmen erreichte auf der zweiten Streikdemonstration am Freitag ihren Höhepunkt, als nun auch massive Polizeigewalt gegen die Demonstrierenden eingesetzt wurde. Die Demonstrierenden hatten zuvor gegen die Festnahme von Kollegen protestiert, woraufhin die Polizei sie dann mit Schlagstöcken angriff und mit Pfefferspray besprühte. Die Masse drängte die Polizei jedoch durch ihre Haltung zurück und antwortete lautstark mit ihrem Slogan „Wir sind der Hafen!“. Allein dieses Ereignis und die Tatsache, dass die Hafenarbeiter:innen nach vielen Jahren das erste Mal wieder in einen Streik getreten sind, spiegelt ihre Entschlossenheit und die Ernsthaftigkeit der Lage wider. Während die Großkonzerne selbst in Krisenzeiten weiterhin Milliardengewinne verzeichnen, kämpfen die Arbeiter:innen aufgrund der Inflation und den ständigen Kostenerhöhungen gegen die permanente Gefährdung ihrer Lebensbedingungen.

STAAT UND KAPITALISTEN BILDEN EINE FRONT

Deshalb ist es an Dreistigkeit nicht zu übertreffen, wenn jetzt seitens der Unternehmerseite die Hafenstreiks als „unverantwortlich“ und „existenzgefährdend“ verunglimpft werden, denn es sind gerade die Bosse, die in der heutigen Situation den Lohnabhängigen gegenüber völlig unverantwortlich handeln und ihre Existenz gefährden. Betrachtet man auch Bundesfinanzminister Lindners arbeiterfeindliche Demagogie der „Lohn-Preis-Spirale“ und die vom Arbeitgeberpräsident Dulger geforderte Einschränkung des Streikrechts durch einen „nationalen Notstand“, ist festzustellen, dass sich aktuell durch die gemeinsame Arbeit von Staat und Kapitalistenklasse verstärkt eine kapitalistische Front gegen die Arbeiter:innenbewegung und ihre in der Geschichte hart erkämpften Errungenschaften bildet.

Diese Front wird in vielen Fällen auch durch die Presse und Berichterstattung der Medien ergänzt, wie im Falle des NDR-Reporters Dietrich Lehmann, der in seinem Kommentar den Kampf der Hafenarbeiter:innen delegitimiert, weil die Häfen gerade ohnehin schon nicht mit der Arbeit hinterherkommen würden und der Streik am Ende dazu führen werde, dass Jobs wegfallen. Außerdem würden die Beschäftigten am Hafen viel besser verdienen als Pfleger:innen, Busfahrer:innen oder Verkäufer:innen im Supermarkt. Des Weiteren argumentiert er mit einer angeblichen Ausweglosigkeit für die Unternehmen: „Ich verstehe […] die Hafenbetriebe. Die Terminals in Hamburg, Wilhelmshaven oder Bremerhaven können von ihren Reederkunden und -kundinnen keine Fantasiepreise verlangen, um viel höhere Löhne zu bezahlen.“ Damit unterstreicht Lehmann grundsätzlich, dass die geforderten Lohnerhöhungen nicht in Frage kämen, weil die Unternehmen dann nicht mehr konkurrenzfähig seien. Tatsache ist jedoch, dass höhere Löhne nicht zwangsläufig den Verlust der Konkurrenzfähigkeit infolge von höheren Preisen, sondern in erster Linie den Wegfall von Profiten bedeuten, da die Ausbeutung gezügelt wird. Diese Profite im Interesse der Unternehmen scheinen für den Journalisten als unantastbar zu gelten.

EINE HOFFNUNG FÜR DIE ARBEITER:INNENKLASSE

Dass massive Polizeigewalt auf Demonstrationen in Deutschland keine neuartige Sache darstellt, ist mittlerweile jedem bewusst. Allerdings ist es eine neue Entwicklung, dass diese im Rahmen eines Streiks stattfindet und in einer offenen Auseinandersetzung bzw. im entschlossenen Widerstand der Arbeiter:innen gegen die Staatsgewalt endet. Hier lässt sich von einer neuen Qualität des Streiks sprechen, unabhängig davon, ob diese Entschlossenheit von nun an kontinuierlich auftreten wird. Das Eis wurde gebrochen und dies wird auch die Arbeitskämpfe in Zukunft beeinflussen.

Ebenso lässt sich registrieren, dass beim Kampf der Hafenarbeiter:innen ein Klassenbewusstsein gefördert wird, indem sich z.B. aktiv mit den weiter entfernten Streikenden der Krankenhausbewegung in NRW solidarisiert wird. Sollten sich diese Solidarität ausweiten und die verschiedenen Bewegungen gegenseitig den Rücken stärken, würde dies die Kampfstärke der Arbeiter:innenbewegung in Deutschland und den Druck gegen die Unternehmen enorm erhöhen.

Vereinzelte Stimmen am Hamburger Hafen für den Stopp von Rüstungsexporten zeigen außerdem, dass neben den sozialen Beweggründen auch politische Standpunkte von den Arbeiter:innen nach außen getragen werden. Schon 1918 bei der Beendigung des Ersten Weltkriegs in Deutschland und der Novemberrevolution nahmen die Hafenarbeiter:innen im Norden durch ihre Streiks und politischen Kämpfe eine besondere Rolle ein. Werden die Häfen nun erneut den Startschuss für die kämpferische Arbeiter:innenbewegung setzen?

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