Ntropi! Shame! Scchande! Vergogna! Verguenza! Honte! So betitelte die griechische Zeitung EFSYN am Donnerstag das Bootsunglück an der Ionischen Küste in Griechenland. Ob man noch von einem Bootsunglück sprechen kann, ist hier als Frage durchaus angebracht.
Nur wenige Tage nachdem sich die EU-Innenminister in Luxemburg auf einen neuen Asylkompromiss geeinigt haben, ist es an der Küste zu Griechenland zu einem Bootsunglück mit hunderten Toten gekommen. Ein weiteres soll sich südlich von Kreta ereignet haben, wo die Suchaktionen nach wie vor andauern. Jahrelang waren Verhandlungen der Mitgliedsstaaten der EU gescheitert. Was aber in Deutschland in den Medien und der Politik als Erfolg präsentiert wird, ist eigentlich das Einknicken der letzten Protestler:innen für eine humane Asylpolitik in der EU. Das, was jahrelang bereits vielerorts illegal und schweigend toleriert wurde, soll nun offiziell legalisiert werden. Wenn Kinder in haftähnlichen Anlagen an den EU-Außengrenzen bis zu ihrer Abschiebung festgehalten werden, sollte es allen neutralen Leser:innen klar sein, dass Menschenrechte hier keine Rolle spielen.
Nancy Faeser (SPD) kommentierte die erzielte Einigung noch mit den Worten, dass es „…dann natürlich ein bisschen weh…“ tue. Nun hat sie nur wenige Tage nach dem Kompromiss die Bilder, die diese Politik erschafft. Bisher wurden 78 Leichen geborgen, 104 konnten gerettet werden, über 500 Menschen werden noch vermisst. Ob man ihre Körper je finden wird, bleibt fraglich. Faeser zeigte sich angesichts dieser Zahlen „erschüttert“ und sah die Schuld bei den Schleusern. Das strukturelle Problem dahinter – die Armut, den Krieg in den Herkunftsländern, die menschenrechtsfeindliche Politik der EU und den natürlichen Trieb des Menschen nach einem besseren Leben – sah sie nicht.
An Bord des Schiffes sollen etwa 750 Menschen gewesen sein, bis zu 100 davon Kinder. Die meisten der Menschen an Bord sind vermutlich mit dem Schiff in die Tiefe gezogen worden, wo sie vermutlich nie geborgen werden können. Die Menschen gaben an, dass sie an der lybischen Küste mit Kurs Richtung Italien in See gestochen seien. Die Überlebenden wurden in einer Lagerhalle in Kalamata untergebracht. Unter ihnen wurden 6 oder 7 Personen wegen des Verdachts auf Menschenschmuggel festgesetzt. Die Behörden und das Spital in Kalamata wurden von verzweifelten Angehörigen kontaktiert, die nach einem Lebenszeichen suchen. Zuvor hatte die Crew des Schiffes den Kontakt mit der griechischen Küstenwache abgelehnt mit dem Verweis, man wolle weiter nach Italien. Die griechische Küstenwache wird aufgrund gewalttätiger Übergriffe und Pushbacks von Geflüchteten gemieden.
Viele werfen außerdem der griechischen Küstenwache vor, das Schiff viele Stunden lang begleitet, dann aber nicht eingegriffen zu haben. Brennende EU-Fahnen waren ein Zeichen der Wut der Jugendlichen gegen die Migrationspolitik. Eine Staatstrauer wurde ausgerufen und der Wahlkampf für die Wahlen am 25. Juni ausgesetzt. Die Überlebenden müssen nun Asylanträge stellen, viele von ihnen müssen mit einem negativen Bescheid rechnen.
In vielen griechischen und auch deutschen Städten kam es hiernach zu Demonstrationen. Der zentrale Vorwurf gegen die griechische Regierung und die EU: Mit der Militarisierung der Außengrenzen und der harten Asylpolitik mache man aus dem Mittelmeer ein totes Meer. Allein in Athen waren es mehrere Tausend Menschen, die dem Aufruf der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), linken Studentenorganisationen und Gewerkschaften gefolgt waren und unter dem Motto „Wir werden keine Kompromisse mit Brutalität eingehen“ auf die Straße gingen. „Wir werden nicht zu Zuschauern der ‚Normalität‘ der Tausenden Toten und Vermissten im Mittelmeer und der Ägäis“, heißt es im Aufruf zur Demonstration. „Wir fordern, dass die Beteiligung Griechenlands an imperialistischen Interventionen und Kriegen hier und jetzt aufhört.“