Mai 3, 2024

Marinaleda – eine reale Utopie?

Es ist ein kleines Dorf im Süden Spaniens, aber was macht es so besonders? Marinaleda wird oft als ein Ort der realen Utopie bezeichnet – ein Ort, an dem der Kommunismus wirklich gelebt wird. Stimmt das? Und wenn ja, wie funktioniert es?

Die Geschichte 

1936 gab es in Spanien einen Militärputsch unter der Führung von Francisco Franco, mit dem auch die sogenannte faschistische Franco-Diktatur begann, welche von Hitler und Mussolini stark unterstützt wurde. Nach dem zweiten Weltkrieg, vor allem ab den 60er Jahren, gab es in Spanien große Hungersnot, und eine hohe Arbeitslosigkeitsrate. Viele Menschen sind ausgewandert und das Gebiet Andalusien war – und ist bis heute – besonders stark betroffen von der Armut. Es gab Aufstände in der Bevölkerung, allerdings wurden diese gewaltsam niedergeschlagen. Viele Menschen wurden ermordet oder festgenommen. 

In Andalusien (wo Marinaleda liegt) war der Großteil der Menschen Feldarbeiter*innen. Die meisten von ihnen waren nicht fest angestellt, sondern sogenannte Tagelöhner, die Tag für Tag aufs Neue Arbeit suchten. 
Während der Diktatur konnten sich die Arbeiter*innen nicht in Gewerkschaften organisieren, denn gesetzlich war es verboten, solange man nicht mindestens 6 Monate lang für den gleichen Arbeitgeber arbeitete. Für Feldarbeiter*innen, die saisonabhängig arbeiteten, gab es also keine Möglichkeiten.

1975 starb Franco und mit seinem Tod endete auch die Diktatur. Aber die Hungersnot blieb, die Arbeitslosigkeitsrate betrug immer noch über 60% und die die Arbeit hatten, wurden unterbezahlt.
 Zwei Jahre später gründeten die Arbeiter*innen Marinaledas eine Gewerkschaft und kurz darauf fanden auch die ersten demokratischen Wahlen statt, bei denen die Vereinte Arbeiterpartei (CUT) unter der Führung von Juan Manuel Sanchez Gordillo eine große Mehrheit der Stimmen bekam. Die Arbeiter hatten zwei Ziele: Das erste war ein eigenes Stück Land, das zweite war die 
Reform der Feldarbeit. Die Felder um Marinaleda gehörten der Familie Infantado, einer der reichsten aristokratischen Familien Spaniens. Dort wurden Weizen und Pfingstrosen angebaut, da sie leichter in der Verarbeitung waren und die Eigentümer durch wenige Angestellte mehr Profit erlangten. Das war aber nicht im Sinne der Arbeiter*innen, denn ihnen ging es um die Schaffung von Arbeitsplätzen, nicht um die Profitmaximierung.


Der Kampf um das Gemeinwohl begann 1978 mit der Besetzung einer Farm. Einige Jahre später wurde Marinaleda bekannt durch einen zweiwöchigen Hungerstreik, an dem sich über 700 von damals 2.300 Bewohnern beteiligten. Die Solidarität war groß, sowie das geteilte Leid. Über 12 Jahre lang ging der Kampf so weiter, bis die Arbeiter*innen im Jahr 1991 ihr Ziel erlangten: über 1200 Hektar Land wurde ihnen übergeben.  Dieses Land sollte kollektiv genutzt werden: aus dem Weizen- und Pfingstrosenanbau machten sie eine Pfeffer-, Bohnen-, Artischocken- und Olivenindustrie und waren erfolgreich, denn heute, nach 30 Jahren, herrscht in Marinaleda nur noch eine Arbeitslosigkeitsrate von 5 %, während der Durchschnitt in Andalusien zwischen 30-40% schwankt.


Wie genau funktioniert das Ganze ? 


Die Wiederwahl des Bürgermeisters (Sanchez Gordillo) seit fast 40 Jahren gibt den Anschein einer Diktatur – tatsächlich gibt es in Marinaleda aber eine große Ablehnung gegenüber Autoritäten. Die Anarcho-Kommunistische Arbeiterpartei (CUT) steht für eine direkte Demokratie Zwar gibt es einen Stadtrat mit 11 Sitzen, allerdings dienen diese Abgeordneten eher der Formalität und der Bearbeitung von bürokratischen Anliegen, denn eine repräsentative Demokratie ist in Marinaleda nicht erwünscht.


In einem Saal im Stadtkern finden wöchentlich Versammlungen statt, an denen sich alle Bewohner freiwillig beteiligen können. Alle Anliegen der Gemeinde werden dort gemeinsam entschieden, auch das Budget und dessen Verteilung werden der gesamten Versammlung offengelegt. 
Ein weiterer Punkt, der Marinaleda besonders macht, ist die Arbeit. Jede Arbeiter*in in Marinaleda wird gleich bezahlt, und zwar mit 47 Euro pro Tag für 6,5 Stunden Arbeit. Das ist für deutsche Verhältnisse sehr wenig, denn es macht nur 7,20€ pro Stunde und etwa 1000 bis 1200€ im Monat. Allerdings ist es doppelt so viel, wie der Mindestlohn in Spanien – der beträgt nur 600€ monatlich und das Arbeitslosengeld sogar nur 500€. Da die Feldarbeit in ihrem Umfang je nach Saison und Klima variiert, gibt es ein Schichtarbeitssystem und einen ständigen Wechsel der Arbeitsgruppen.
 Nicht nur mehr Geld bekommen die Bewohner*innen Marinaleda’s, sie haben auch weniger Ausgaben. Das liegt zum Beispiel an einem Deal zum Wohnungsbau, den Marinaleda mit der andalusischen Regierung aushandeln konnte: Jeder Bewohner hat das Recht auf ein Haus und die Baumaterialien finanziert der Staat; nur Architekt– und Bauarbeiterkosten müssen die Bewohner*innen selber tragen. Diese betragen etwa 50.000€, werden aber mit einer Pauschale von nur 15€ pro Monat abbezahlt. Das dauert theoretisch 280 Jahre, aber es verhindert den Wohnungsmangel. 
Es ist den Bewohnern vertraglich untersagt, diese Häuser zu verkaufen. Sie dürfen nur vererbt werden, denn das soll einen Missbrauch des Systems und die Entstehung von Privateigentum zum Zwecke der Profitgewinnung verhindern. Es gibt nur 7 Private Geschäfte in Marinaleda, darunter ein Supermarkt und wenige Restaurants und Cafés, allerdings kaum Konkurrenz untereinander. Konzerne sind nicht erlaubt. Zwar gibt es kein gesetzliches Verbot, dennoch stellen sich die Bewohner des Dorfs gegen Konzerne, die versuchen Filialen in der Nähe zu eröffnen. Öffentliche Plätze sind genauso kollektives Eigentum aller Bewohner*innen. Solange es den Nachbarn nicht stört, kann man machen was man möchte. Obwohl es gesetzlich verpflichtend ist, gibt es in Marinaleda keine Polizei. Die Kriminalitätsrate sei so niedrig, dass nach dem Ruhestand des einzigen Polizisten, den es einst in Marinaleda gab, kein neuer mehr eingestellt wurde. 


Marinaleda ist ein Beispiel einer gelungenen Kommune und einer gelungenen Demokratie durch den Aufstand und den vereinten Kampf von Arbeiter*innen gegen eine systematische Unterdrückung. 

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