April 26, 2024

Angst vor neuem „Gezi-Aufstand“

Seit dem 3. Januar protestieren mehrere hunderte Stundent:innen der „Bogazici-Universität“ gegen den von Erdogan ernannten Rektor Melih Bulu.  Doch was passierte genau und was ist die Ursache für die Wut der Studierenden? 
 
Nach dem Putschversuch 2016 in der Türkei nutze Erdogan die Situation, um eine „Säuberung“ in allen Ämter und Universitäten durchzuführen. Hierbei wurden jedoch nicht nur die Anhänger oder Sympathisanten der Gülen-Bewegung von ihren Arbeitsstellen suspendiert, sondern vor allem wurden linke, fortschrittliche und besonders auch viele Kurden systematisch von ihren Berufen ausgeschlossen. Im Gegensatz dazu besetzte Erdogan alle hohen Posten mit seinen eigenen Leuten. Darunter zählt auch der am 1. 1. 2021 von Erdogan ernannte Rektor Melih Bulu, der unter anderem für den Aufbau der AKP Partei verantwortlich ist
Die „Bogazici Universität“ hat aufgrund ihrer Geschichte einen Ruf als demokratische und freie Universität. Fakultätsmitglieder beschreiben die Situation folgendermaßen: „Wir akzeptieren nicht, wir geben nicht auf! Am 1. Januar 2021 um Mitternacht wurde zum ersten Mal nach dem Militärregulierungsregime der 1980er Jahre ein externer Rektor an unsere Universität berufen. Diese Situation ist eine Fortsetzung der antidemokratischen Praktiken, die seit 2016 andauern und die Rektorwahlen eliminieren. Wir akzeptieren diese Praxis nicht, die eindeutig die akademische Autonomie, die wissenschaftliche Freiheit und die demokratischen Werte unserer Universität verletzt. “
 
Aber die diktatorische Entscheidung ist nicht der einzige Grund für die Proteste der Student:innen gewesen. Doch es war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte
 
Die Pandemie, die seit den ersten Tagen des Jahres 2020 im Land wütet, hat jedoch gezeigt, wie faul und schnell das „neue“ Bildungssystem zusammenbricht, das sie etablieren wollten. Es gab ein Fiasko nach dem anderen in der Online-Lehre, jede Klausur wurde zu einem neuen Chaos und einem neuen Skandal.
 
Diese Situation ließ die Reaktion und den Ärger, der sich unter den Jugendmassen von unten angesammelt hatten, gären. Die Wut der Jugendmassen, deren Recht auf Bildung und Leben ignoriert und ohne Zukunft gelassen wurde, spiegelte sich häufig in den Beiträgen auf Social-Media-Kanälen wider.
 
Am 3. Januar kam es schließlich zum Knall und bis zu tausend Stunden:innen kamen zusammen, unterstützt auch von Stunden:innen anderer Universitäten, die ihre Solidarität zeigten. Immer wieder wurde betont, dass dieses Problem nicht nur ein Problem der Bogazici Universität ist und dass man für alle Universitäten auf der Straße stehe
Am 4. Januar war massenhaft die Polizei vor Ort vertreten und es kam soweit, dass diese die Tore der Universität mit Handschellen schlossen. Diese Bilder wurden weltweit als ein Skandal angesehen. In der Nacht zum 5. Januar fanden bis in den Morgenstunden brutale Razzien in Wohnungen, Gewahrsamnahmen, sowie Bedrohungen, psychische Folter, Untersuchungen bei denen die Festgehaltenen nackt waren, Belästigung und Vergewaltigungsandrohungen seitens der Polizei statt, was für große Empörung sorgte. Bis heute kam es drei Mal zu solchen Razzien. Alle, die sich in Gewahrsam befanden, wurden nach ein bis zwei Tagen wieder freigelassen. Die Medien und die Politiker der AKP-MHP Regierung verbreiteten ohne mit der Wimper zu zucken wie üblich ihre „Das sind Terroristen“ „Da sind Anarchisten“ „Sie wollen nur für Chaos sorgen“ Demagogie. 
 
Jedoch scheitern all die Einschüchterungsversuche der Regierung, denn die Student:innen treffen klare Aussagen, wie zum Beispiel: „Wir sind keine Terroristen, wir sind Stundent:innen“, „Wir akzeptieren nicht – Wir geben nicht auf“, „Wir wollen keinen TreuhänderRektor“.
 
Mittlerweile gibt es seitens vieler anderen Universitäten in anderen Städten, Anwälten, Musiker, sowie Professoren usw. innerhalb der Türkei  starke Solidarität. Aber auch außerhalb der Türkei wird  internationale Solidarität von Stundent:innen und der Jugend  bekundet.
Die kämpferischen Aktionen der Studierenden schaffen erneut das Potenzial einer revolutionären Studierendenbewegung in der Türkei, die durch die Organisation wieder zum Leben erweckt werden könnte.
 

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