April 29, 2024

Der deutsche Kolonialismus – Ist Deutschland unschuldig?

Nachdem in den letzten Wochen aufgrund des Konflikts in Gaza wieder vermehrt über das Thema des Kolonialismus gesprochen wurde, wollen wir anmerken, dass dies nicht nur den britischen oder französischen Kolonialismus einfasst. Nein, auch Deutschland hat seine blutigen Kolonialspuren in der Welt hinterlassen. 

In Tansania hat Deutschland ebenfalls seine Spuren hinterlassen. Hier kam es in den Jahren 1905 bis 1907 rund um den Ort Songea zum Maji-Maji-Aufstand. Tausende rebellierten gegen die Unterdrücker aus dem deutschen Reich. Auslöser war eine Steuererhöhung, welche die afrikanischen Bauern dazu zwang, auf den deutschen Plantagen zu arbeiten und die eigenen Felder zu vernachlässigen. Eine Hüttensteuer wurde eingeführt. Unter dem Heiler Kinjikitile Ngwale versammelten sich tausende zur Rebellion. Die Kolonialherren schlugen grausam zurück. Vertreibung, Hunger, massenhafter Tod waren die Folge, gezielt wurde die Lebensgrundlage der Bevölkerung, die Felder zerstört. Eine Politik der verbrannten Erde wurde durchgeführt. Bis zu 300.000 Menschen sollen so gestorben sein, die genaue Zahl ist nicht bekannt. 

Der damalige Gouverneur Gustav Adolf Graf von Götzen verteidigt die Taten später: „Wie in allen Kriegen gegen unzivilisierte Völkerschaften war auch im vorliegenden Fall die planmäßige Schädigung der feindlichen Bevölkerung an Hab und Gut unerlässlich.“ 

Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besuchte vor kurzem das Land. Er ist der erste Politiker aus Deutschland, der den Ort besuchte. Bis 1918 blieb das Land besetzt. In Tansania wirft man Deutschland vor, die schrecklichen Taten der Kolonialzeit bewusst zu verschweigen. Der Holocaust ist ein wichtiges Thema in Deutschland, ob in der Schule oder der institutionellen Bildung. Die Kolonialzeit wird hingegen kaum beleuchtet. Ob es sich in Tansania auch um einen Völkermord handelt ist umstritten. Das liegt daran, dass die Absicht hinter den Grausamkeiten unklar ist. Es ist unklar, ob man auch hier gezielt Bevölkerungsgruppen auslöschen wollte. 2020 forderte der Botschafter Tansanias in Berlin die Aufnahme von Verhandlungen zu einer Aussöhnung. Unklar ist aber noch, wie diese aussehen sollen. Die Nachfahren der damaligen Opfer sind meist nicht bekannt. In Tansania werden Stimmen laut, die sagen, dass Menschenleben nicht mit finanziellen Ausgleichen aufzuwiegen sind. Eine erste Forderung ist die Rückgabe der Schädel von damals getöteten Menschen, die diesen damals abgetrennt wurden und nach Deutschland gebracht wurden. Sie lagern nach wie vor in deutschen Museen, so zum Beispiel bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Mit dieser gibt es einen Streitpunkt und in Tansania gibt es Vorwürfe der Entmenschlichung. So wurden durch DNA-Tests die Nachfahren der Toten ausfindig gemacht. Statt aber diese direkt zu benachrichtigen, wurde die noble Geste erst medial ausgeschlachtet, die deutsche Presse darüber benachrichtigt und dann betroffene Verwandte in Tansania darüber informiert. Das verzeihen viele der Nachfahren ihnen nicht. Man soll den Menschen in Tansania das Recht geben, den Diskurs zu bestimmen. Schließlich sind sie die Unterdrückten, nicht die Deutschen. 

Weitaus bekannter sind die Kolonialverbrechen in Namibia. Hier schlachteten die deutschen Kolonialherren tausende Herero und Nama ab, zwei Völker, die gegen die Besatzung rebellierten. Heute sind diese Taten als Völkermord bekannt. In Namibia leben im Unterschied zu Tansania noch viele Deutsche, die große Ländereien besitzen – die koloniale Ungerechtigkeit setzt sich also fort. Deutschland hatte versucht, auf Reparationszahlungen oder andere Versöhnungsmaßnahmen zu verzichten und sich moralisch freizusprechen. Es war ein Aussöhnungsabkommen verhandelt worden. Das Ganze scheiterte aber an der Kritik aus Namibia. Herero und Nama fühlten sich nicht beachtet in den Verhandlungen, sahen sich aber statt dem namibischen Staat als Nachfahren der Opfer in der Position dazu. Es wurde versucht, die deutschen Vorstellungen in diesem Abkommen zu manifestieren und die kritischen Stimmen in Namibia zu überhören. 

Andere Länder, die von der deutschen Kolonialmacht betroffen waren sind Togo und Kamerun. In beiden Länder wurde jahrzehntelang versucht, die Freiheit durch Petitionen und Besuche in Berlin zu erlangen. Könige, Amtsträger und Geschäftsleute aus dem Togo oder Kamerun versuchten durch diplomatische Wege ihre Ziele zu erreichen – erfolglos. So wurden auch in diesen beiden Kolonien schwere Verbrechen begangen. 1893 kam es in heutigen Douala zum Dahomey-Aufstand der sogenannten Polizeitruppe Kamerun, eine Gruppe von aufgekauften Sklavinnen und Sklaven aus den heutigen Ländern Liberia, Sierra Leone sowie Haussa aus Togo. Sie wurden alle erhängt oder versklavt. 1914 wurde in Kamerun die Hinrichtung von etwa 200 aufständischen Amtsträgern – darunter Rudolf Duala Manga Bell, Ludwig Mpundo Akwa, Mandola von Groß Batanga, Martin-Paul Samba – durchgeführt. Im Togo kam es zu alltäglichen Übergriffen, heute leider meist unbekannt, welche aber anhand von Prozessen in Deutschland teilweise dokumentiert sind. Rebekka Habermas hat in einer Studie den systematischen Rassismus und die Unterdrückung dokumentiert. Eine Aufarbeitung der deutschen Behörden fehlt aber.