April 30, 2024

Refat Süleyman – Todesursache ungeklärt

Refat war gerade einmal 26 Jahre alt, als er aus bislang ungeklärten Gründen auf dem Thyssen-Werksgelände in Bruckhausen verstarb. Er war Bulgare mit türkischen Wurzeln und wurde in Plovdiv, der zweitgrößten Stadt Bulgariens, geboren. Er lebte in Duisburg im Stadtteil Bruckhausen, wo er auch arbeitete und verstarb. Refat war verheiratet und hatte zwei Kinder, von denen eines eine Behinderung hat.

Leiharbeitsfirmen und Thyssen

Refat war ein Leiharbeiter, der von dem Oberhausener Subunternehmen Eleman an ThyssenKrupp ausgeliehen wurde. Er ist nur einer von vielen Leiharbeitern gewesen, die in unsicheren und prekären Verhältnissen bei ThyssenKrupp beschäftigt sind. In Deutschland gibt es etwa eine Million Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, von denen rund die Hälfte in der Reinigungsbranche beschäftigt sind.

ThyssenKrupp senkt durch die Zusammenarbeit mit Subunternehmen die Lohnkosten, schwächt die Verhandlungsmacht der Arbeiterinnen und Arbeiter und entzieht ihnen Rechte bezüglich des Mindestlohns und Sicherheitsstandards. Das Unternehmen befindet sich seit einigen Jahren in wirtschaftlichem Niedergang und versucht mit drastischen Kostensenkungsmaßnahmen dagegen zu steuern. Am Standort Duisburg-Bruckhausen arbeiten neben den Beschäftigten von Eleman GmbH etwa 20 weitere Reinigungsunternehmen im Auftrag von ThyssenKrupp. Sie bilden die Grundlage für einen flexiblen Pool an Leiharbeitern, die je nach Bedarf schnell entlassen oder eingestellt werden können. Zielgruppe sind hauptsächlich Asylbewerber und Arbeitsmigrant:innen aus Bulgarien und Rumänien, die oft keine andere Möglichkeit haben, sich in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren. In der bulgarischen Community sind diese Arbeitsplätze bekannt und werden oft als „robski trud“, also als Sklavenarbeit, bezeichnet. Die Arbeitsmigranten werden insbesondere aus den Stadtteilen Marxloh und Bruckhausen rekrutiert. Viele Arbeitsunfälle werden nicht an ThyssenKrupp gemeldet, da die Arbeiterinnen und Arbeiter befürchten, entlassen zu werden, was oft einer existenziellen Bedrohung gleichkommt.

Fragen ohne Antwort

Im Oktober 2022 verschwand Refat plötzlich auf dem Betriebsgelände von Thyssenkrupp-Steel im Duisburger Stadtteil Bruckhausen. Er wurde drei Tage später tot in einem Schlackebecken auf dem Werksgelände gefunden. Dabei bleiben folgende Fragen offen:

1. Warum war Refat, der erst drei Tage auf dem Werksgelände gearbeitet hat, alleine unterwegs? Normalerweise müssen die ArbeiterInnen von ThyssenKrupp mindestens in Zweiergruppen arbeiten, besonders in dem Hochrisikobereich, in dem Refat später tot aufgefunden wurde. 

2. Warum wurde Refat erst nach 3 Tagen Suche an einem Ort gefunden, wo er nicht arbeiten durfte? Warum wurde Refat an seinem dritten Arbeitstag in einen Hochrisikobereich geschickt? Die gesetzlich erforderlichen Trainings und medizinischen Untersuchungen, um in diesem Hochrisikobereich zu arbeiten, wurden bei ihm nicht durchgeführt. Noch seltsamer ist die Tatsache, dass Refat im Schlackebecken gefunden wurde. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass jemand einfach in so ein Schlackebecken stolpert und hineinfällt, da dieses Schlackebecken nicht am Boden war, sondern in einem großen Behälter, der mehrere Meter in die Höhe geht.

3. Warum gibt es keine Kamaraaufnahmen des  Ortes des Schlackebeckens oder zumindest Aufnahmen, die zeigen, wie Refat zu diesem Ort gelangte? Zufälligerweise gibt es keine Aufnahmen, die dabei behilfreich sein könnten, Refats Tod aufzuklären. Das ist schwer vorstellbar bei einem Großbetrieb wie ThyssenKrupp, in dem es überall Kameras gibt; selbst wenn eine kaputt ist, dann gibt es andere. Es ist sehr rätselhaft, warum nicht eine einzige Kamera aufnehmen konnte, wo Refat sich an seinem Todestag aufgehalten hat. 

Ermittlungen zu Refats Tod sind mittlerweile abgeschlossen, jedoch ohne wirklich zur Aufklärung vonRefats Tod beizutragen. Das Ergebnis der Polizeibehörden und der Staatsanwaltschaft lautet, dass man nicht weiß, was passiert ist, man aber kein Fremdverschulden erkennen kann. Jedoch besteht kein Zweifel daran, dass die schlechten Arbeitsbedingungen, die in deutschen Subunternehmen üblich sind, Unfälle ermöglichen und sogar begünstigen. Menschen aus Refats Umfeld berichten uns in Gesprächen, dass Refat kein Einzellfall ist. In Arbeitervierteln wie Marxloh und Bruckhausen sind schon einige Arbeiter bei Thyssen gestorben.

Arbeitsunfall oder Arbeitsmord?

Viele Menschen aus Refats Umfeld sagen, dass der Vorfall Refats kein Arbeitsunfall, sondern ein Arbeitsmord ist. Dies begründen sie mit dem Argument, dass die Todesfälle bei den schlechten Arbeitsbedingungen kein Zufall sind. Thyssen nimmt es in Kauf, dass seine Arbeiter:innen unter diesen Bedingungen sterben könnten, statt das Risiko zu minimieren und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. 

Protestaktionen

Seit Refats Tod kommt es immer wieder zu Protesten, die seine Freund:innen und Unterstützer:innen organisieren, um ihn nicht als einen weiteren Todesfall in Vergessenheit geraten zu lassen. Die bulgarische Community fordert Aufklärung, droht mit einer Blockade des Werkes, sollte der Fall nicht aufgeklärt werden. Viele der Protestierenden teilen Refats Schicksal. Sie sind Arbeitsmigrant:innen in der Leiharbeit, fühlen sich dabei oft von Arbeitsrechten ausgeschlossen. 

Refats Familie hatte zuletzt zu den Demonstrationen aufgerufen und den Willen nach Gerechtigkeit und Aufklärung betont. Teilnehmende der Proteste bekräftigten die Forderung nach dem Ende der Zusammenarbeit mit Leihfirmen in der Industriereinigung, die in der Online-Petition von “Stolipinovo in Europa” mit bereits über 2300 Unterschriften gestellt und an zuständige Stellen und Adressaten weitergeleitet wurde. Bislang gab es vier Protestaktionen. Zwei Demonstrationen vor dem ThyssenGelände, eine vor der Staatsanwaltschaft und eine vor dem Subunternehmen. Bei allen  Protessaktionen ist zu erkennen, dass die Familie nicht locker lassen wird, bis sie Gerechtigkeit für Refat erfahren. Die Familie betonte immer wieder, dass sie möchte, dass mit ihnen geredet wird, sei es Thyssen, die Staatsanwaltschaft oder die Leiharbeitsfirma. Das Subunternehmen, bei dem Refat angestellt war, kümmert sich nicht um seinen verstorbenen Angestellten. Ganz im Gegenteil werden die Anrufe der Familie ignoriert. Ende Mai diesen Jahres organisierte die Familie daher eine kleine Protessaktion vor dem OPS Büro in Oberhausen, bei der die Immobilie mit Eiern beworfen wurde, bis die Polizei eingriff und Anzeigen ausstellte.

Neben den Protesten in Duisburg, an denen sich Tausende von Menschen beteiligten, welche auch aus den Niederlanden und Frankreich anreisten, hatten sich auch hunderte Menschen in seinem Geburtsort Plovdiv in Bulgarien versammelt. Immer wieder war der Ruf nach „adalet“ (Gerechtigkeit) zu hören

Gewerkschaften

Im Zusammenhang mit dem Tod von Refat wurde auch die IG Metall kritisiert, von welcher sich die Leiharbeiter in Duisburg im Stich gelassen fühlen. 

Bei keinem der Proteste war die Gewerkschaft als unterstützunde Kraft da. Bei der zweiten Demonstration kam zumindestens der Gewerkschaftssprecher der IG BAU und und hielt eine Rede. Jedoch wurde die Rede von der Familie als schwach und opportunistisch aufgenommen. Die Demonstranten bekamen das Gefühl, dass die Gewerkschaft die Demonstranten eher besänftigen möchte und gar nicht zur Unterstützung der Forderungen anwesend ist, was auch dadurch bekräftigt wurde, dass die Gewerkschaft nicht zur Demonstraion mitaufgerufen hatte. Dies führte dazu, dass die Familie das Mikrofon aus der Hand des Gewerkschaftssprechers nahm und gegen Thyssen und die Gewerkschaft agitierte.

Der Fall Refat Süleymann ist tragisch, doch kein Einzelfall. Weltweit werden Arbeiter:innen in qualifiziertes und unqualifiziertes Personal aufgeteilt. Damit werden unterschiedliche Löhne und Arbeitsbedinungen gerechtfertigt. Wie unschwer zu erkennen ist führt dies im schlimmsten Fall zu Toden, in allen Fällen aber zu schlechten Lebensbedinungen. Apelle an die Staatsanwaltschaft, die Aufklärung voranzutreiben oder an den Staat, die Arbeitsbedinungen zu verbessern, können aber nicht die Konsequenz sein, die man daraus zieht. Eine Logik der Profitmaximierung wird Menschenleben und Lebensbedinungen immer nachrangig behandeln. Daher muss ein Wirtschaftssystem geschaffen werden, dass nach menschlichen Bedürfnissen ausgelegt ist.