April 29, 2024

„Wir schaffen das“ – Vergessene Helden hinter dem March of Hope

Merkel ist für viele die Heldin 2015 bei der Ankunft der Geflüchteten gewesen. Zweifelsohne war ihre Entscheidung, die Geflüchteten, die damals von Budapest Richtung Österreich zu Fuß über die Autobahnen gingen, aufzunehmen, eine große Entscheidung. Doch oft werden diejenigen vergessen, die es überhaupt möglich machten, dass die Menschen der katastrophalen Situation am Budapester Bahnhof Keleti entkommen sind. Mohammad Zatareih war damals einer der Initiatoren des sogenannten „March of Hope“. 

Er befand sich damals in einer ganz anderen Situation als Merkel. Er war kurz vor dem Aufgeben. Mohammad kommt aus Damaskus und hat in Dubai Maßanzüge hergestellt. Als der Bürgerkrieg 2015 in Syrien begann und das Haus seiner Eltern bombardiert wurde, floh seine Familie über den Libanon nach Istanbul. Mohammad, geplagt vom Visumsablauf und dem anstehendem Militärdienst für Diktator Assad, entschied sich nachzukommen. Er führte Gelegenheitsjobs aus, sah aber keine Zukunft dort. Sein Bruder überzeugte ihn weiter Richtung Wien zu gehen. Ein erster Versuch mit dem Boot nach Griechenland zu kommen scheiterte und die griechische Küstenwache drängte ihr Boot zurück in die Türkei. Beim zweiten Versuch wurde er auf der Insel Farmakonisi von griechischen Soldaten nach Leros zurückgebracht, wo er ohne Gesundheitsversorgung und Hygiene auskommen musste. Sein Handy wurde ihm auch noch gestohlen. Er entschied sich weiter zu reisen über Athen nach Mazedonien, Serbien und dann Ungarn. Am Bahnhof Keleti verließ ihn aber die Kraft. Er konnte nicht schlafen und sah keine Zukunft mehr. Als er aber die Entfernung bis zur österreichischen Grenze sah, ungefähr 170 km, sah er die Möglichkeit wieder nahe. Er kannte die langen Märsche aus dem Militärdienst. Zusammen mit einem anderen jungen Mann namens Ahmad Herraf aus Damaskus mobilisierte er die Menschenmassen. Er sammelte die Menschen und übernahm aufgrund seiner guten Englischkenntnisse den Austausch mit der Presse. Er sah ihre wichtige Funktion als Schutzschild vor der ungarischen Polizei. Bis heute ist er begeistert von den ungarischen Freiwilligen, die überall Hilfe angeboten haben. Ob Landkarten, Wasser, Kinderwagen, medizinische Versorgung oder sonstige Informationen. Eine Welle der Solidarität kam ihm entgegen. Politisch hielt man sich zurück, denn Orban wollte die Leute loswerden, Österreich und Deutschland wollten niemanden aufnehmen und hielten europäisches Recht über moralische und ethische Werte: Sie schoben die Verantwortung durch das Dublin-Abkommen von sich.

Erstmals kamen die Debatten auf, dass eine Rettung von Menschen ein Pull-Faktor sein könnte. Eine liberale Demokratie müsse solche Bilder aushalten, wie Menschen mit Gewalt an Grenzüberschreitungen gehindert werden sollen. Die moralische Frage, ob es dann vielleicht einfach das falsche System oder die falsche Struktur ist, wenn Menschenrechte keinen Wert haben, wurde nicht und wird auch bis heute nicht diskutiert. 

Letztendlich entschieden sich Deutschland und Österreich aber für die Aufnahme der Menschen und die Öffnung der Grenzen. Mohammad war sich dabei nicht bewusst, dass er Geschichte geschrieben hatte. Er hatte das komplette europäische Asylsystem in Frage gestellt, hatte in wenigen Tagen das erreicht, was Politiker:innen und Expert:innen in Jahren nicht hinbekommen hatten. Er hatte unbürokratische Hilfe in kurzer Zeit organisiert, eine humane Katastrophe abgewendet und tausenden die Chance auf ein besseres Leben ermöglichtFür ihn persönlich ging es in Deutschland weiter. Er musste das typische Schicksal eines Asylbewerbers in Deutschland durchmachen. Über Österreich nach München, wurde er schließlich in das sächsische Zwickau geschickt. Hier hat er deutsche Freunde, hat sich als Fotograf selbstständig gemacht und hat sich ein schickes Fahrrad und schicke Klamotten geholt. Auch das N-Wort hat er kennengelernt. Die Deutschen haben es ihm beigebracht. Freunde waren sie allerdings nicht.